ECHTE STÄRKE SETZT SICH DURCH
Vor weniger als einem halben Jahr, ausgerechnet am 24. Dezember 2020, war Thomas Tuchel eine der tragischsten Figuren des internationalen Fußballs und wurde von vielen Fans bemitleidet: Nach dem 2. Platz bei der Champions League als Trainer von Paris St. Germain erhielt er ausgerechnet an Heiligabend seine Kündigung als Reaktion auf die Niederlage seines Vereins.
Der FC Chelsea war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in großer Not – nach zahlreichen Niederlagen in Folge war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Beide, Tuchel und der FC Chelsea wagten zum Jahresbeginn gemeinsam einen Neustart – und standen am 29. Mai 2021 vor einem großen und verdienten Triumph: Tuchel gewann mit seiner neuen Mannschaft die diesjährige Champions League gegen Manchester United mit 1:0.
Dieser Sieg war nicht nur verdiente Genugtuung für einen Trainer, den selbst der gegnerische Coach Pep Guardiola als unglaubliches Talent bezeichnet und ihm eine Weltkarriere prophezeit1 hatte, sondern direktes Ergebnis seiner Persönlichkeit sowie seines stärkenorientierten Führungsstils. Ein solcher Führungsstil zeichnet sich durch die Elemente Kooperation, Entwicklung, Qualität und Anerkennung aus:
1. SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG: KOOPERATION
Als Führungskraft agierte Tuchel beim FC Chelsea in erster Linie mit einem kooperativen Führungsstil, d.h. er versuchte nicht, den Spielern ein von ihm strategisch ausgedachtes Spielschema aufzudrücken. Sondern er nahm sich insbesondere zu Beginn viel Zeit, um jeden Spieler individuell kennenzulernen und seine Stärken auszuloten. Die Spieler dann so einzusetzen, dass sie ihre Stärken einbringen können und ihre Schwächen so gut wie möglich kompensiert werden, war sein Ziel. Er erklärte auch, Fußball sei ein Spiel der Spieler und die Trainer dienten lediglich den Spielern als Sparringspartner und Unterstützer.(1)
Nach den Spielen sah man Thomas Tuchel konsequenterweise auf dem Platz, bei seinen Spielern, wo er für jeden Spieler eine Umarmung und einige Sätze übrig hatte. Genau dies bedeutet Stärkenorientierung in der Führung: die Stärken anderer Menschen zu erkennen und bestmöglich zur Geltung zu bringen. Damit kann sehr viel mehr erreicht werden, als wenn man versucht, die Bereiche, in denen jemand schwach ist, zu trainieren.
Denn wer seine Stärken einsetzt, kann wahrhaft glänzen. Wer seine Schwächen bekämpfen möchte, ist hingegen immer in einem Kampf mit sich selbst und erzielt allerhöchstens in kleinen Schritten minimale Verbesserungen. Zur Stärkenorientierung gehört auch, anderen Vertrauen zu schenken, und genau dies gelang Thomas Tuchel nach Aussage seines früheren Spielers Ramos brillant: „Tuchel hat mir vertraut und ich habe dieses Vertrauen mit Toren zurückgezahlt.“(2)
2. SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG: ENTWICKLUNG
Auf das Erkennen der Stärken folgt die Weiterentwicklung dieser Stärken. Denn dass jemand eine Stärke besitzt, heißt noch lange nicht, dass er sie auch konsequent anwendet und in der Lage ist, sie optimal einzusetzen. Genau hier setzte Thomas Tuchel an. Gerade die jüngeren Spieler hatten in nicht einmal vier Monaten unter Thomas Tuchel als Trainer entscheidende Fortschritte gemacht (3) und auf diese Weise nicht nur das Ziel erreicht, in der Champions League zu spielen, sondern diese schließlich auch zu gewinnen. Der BVB-Spieler Ramos attestierte Tuchel sogar einen höheren Spaß- und Lernfaktor als dem legendären Dortmund-Trainer Jürgen Klopp.(4)
Führungskräfte müssen dieses Prinzip aber nicht nur für ihre Mitarbeiter oder Spieler anwenden, sondern auch für sich selbst. So entwickelte sich Thomas Tuchel vom begnadeten Strategen weiter zu einer äußerst pragmatischen Führungspersönlichkeit. Nach dem Aus beim BVB fokussierte er sich verstärkt auf die Arbeit auf dem Platz und stärkte die Nähe zu den Spielern in der Kabine. Er konzentrierte sich auf das Machbare, lernte, Star-Allüren und sonstige Befindlichkeiten mancher Spieler und sonstiger Akteure zu ignorieren und den Fokus auf realistische Entwicklungsschritte zu setzen.(5)
Um die eigenen Stärken und die Stärken anderer niemals aus den Augen zu verlieren und sie kontinuierlich weiterzuentwickeln, darf man das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Dass Tuchel dies trotz immenser Niederlagen immer wieder gelang, hat sicher auch damit zu tun, dass Fußball seit seiner Kindheit sein Traum war und seine größte Stärke, obwohl es zunächst so aussah, als müsse er diesen Weg sehr bald wieder verlassen. So musste er seine aktive Karriere im Alter von nur 24 Jahren wegen eines Knorpelschadens im Knie beenden. Er studierte dann zunächst BWL, arbeitete nebenbei in Stuttgart als Barkeeper, verlor den Traum vom Fußball jedoch nie aus den Augen: „Wenn nicht als Profi, dann als Trainer.“(1)
Eine Führungskraft, die ihren Teammitgliedern immer wieder vorleben und vor Augen halten kann, dass sie an ihre Stärken glaubt und sie ermutigt, diese Stärken weiter zu verfolgen, kann enorme Potenziale in anderen freisetzen. Und wer wie Thomas Tuchel immer wieder so sehr für seinen Traum kämpfen musste, weiß jeden noch so kleinen Erfolg zu schätzen.
3. SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG: QUALITÄT
Bei allem Pragmatismus legt Thomas Tuchel höchste Ansprüche an sich selbst und an andere. So wird er als Besessener beschrieben, der an die gesamte Mannschaft hohe Anforderungen stellt. Führungskräfte müssen von ihren Mitarbeitern Qualität und Einsatz fordern, denn nur wenn sie einen gewissen Ehrgeiz wecken, können sie Höchstleistungen der Mitarbeiter erzielen. Dabei ist allerdings wichtig, dass auch bei Kritik die Sache im Vordergrund steht. Dies scheint Thomas Tuchel gelungen zu sein. So berichtet Ramos von seiner Zeit beim BVB, Tuchel sei auch mal laut geworden und habe harte Fakten genannt, er habe nie das Gefühl gehabt, Tuchel wolle mit seiner Kritik jemanden persönlich angreifen.(5)
Thomas Tuchel wird von einigen Weggefährten absolute Disziplin und Perfektionismus attestiert.(1) Und das ist im hart umkämpften Fußball genauso wie in Unternehmen sicherlich auch notwendig, denn nur wer mit Ehrgeiz sich immer wieder neue Ziele steckt, kann auch immer höhere Qualitätsstufen erreichen. Dies müssen Führungskräfte als Vorbild vorleben. So erklärte Thomas Tuchel auch direkt nach dem Spiel, er wolle den Erfolg wirken lassen aber „dann geht’s weiter. Und das ist gut so, denn ich will mich nicht ausruhen. Ich will den nächsten Erfolg, den nächsten Titel. Und das fordere ich ein.“(3)
4. SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG: ANERKENNUNG
Anerkennung der Erfolge und Stärken anderer ist wichtig für jede Führungskraft, die kooperativ und stärkenorientiert führt. Denn auf diese Weise zeigt sie zum einen, dass sie den Beitrag anderer zu schätzen weiß, deren Stärken und Talente wertschätzt. Zum anderen sendet sie das Signal „Du bist wichtig für das Team.“ Sie drückt auf diese Weise aber auch Demut und Dankbarkeit aus – Eigenschaften, die Führungskräften selten zugeschrieben werden, die sie aber menschlicher und nahbarer machen. Dies erhöht die Chancen, dass die Teammitglieder auch in schwierigen Zeiten an ihrer Seite stehen. Thomas Tuchel gelang das meisterhaft, indem er direkt nach dem Spiel erklärte, „seine Mannschaft sei tapfer gewesen, mutig, unerbittlich.“(3)
Thomas Tuchel zeigte aber auch seine Dankbarkeit gegenüber seiner Familie und seinen Eltern. So erwähnte er, seine Eltern haben ihn schon als Kind zu jedem Fußballspiel gefahren und er zollt seiner Frau und seinen Töchtern Tribut, die hinter ihm stehen und ihn unterstützen. Er widmete den Titel seiner gesamten Familie und erwähnte sogar seine über 90-jährige Oma, die zuhause das Spiel verfolgte.(3)
Führungskräfte können durch eine gewisse Demut und Dankbarkeit zeigen, dass ihnen bewusst ist, dass sie nur so gut in der Führung sind wie der Kreis ihrer Unterstützer und auch die Menschen, die ihnen im Laufe ihrer Führungskarriere geholfen haben. Denn auch dies ist ein wichtiges Element stärkenorientierter Führung: die Stärken anderer bewusst einsetzen und die Mitarbeiter für ihr Engagement und ihren Einsatz wertschätzen.
Wir gönnen Thomas Tuchel den Sieg von ganzem Herzen und freuen uns schon heute, welche Ergebnisse er durch seinen stärkenorientierten Führungsstil in Zukunft noch erzielen wird!
(1) https://www.t-online.de/sport/fussball/champions-league/id_90114202/champions-league-finale-fc-chelsea-der-wahre-zauber-des-thomas-tuchel.html
(2) https://www.sport1.de/fussball/bundesliga/2021/03/adrian-ramos-thomas-tuchel-war-besser-als-juergen-klopp
(3) https://www.spiegel.de/sport/fussball/thomas-tuchel-gewinnt-mit-dem-fc-chelsea-die-champions-league-der-pokal-gehoert-ihm-a-4b051835-f07a-427e-a3e1-8229fa53a7b5
(4) https://www.sport1.de/fussball/bundesliga/2021/03/adrian-ramos-thomas-tuchel-war-besser-als-juergen-klopp
(5) https://www.t-online.de/sport/fussball/champions-league/id_90114202/champions-league-finale-fc-chelsea-der-wahre-zauber-des-thomas-tuchel.html
Autoren: Carolin Skiba & Frank Rebmann